Der zweitbeste Ort, um zu sterben.

„Wir versuchen, ein Zuhause zu sein. Es gibt keine Besuchszeiten, keine Regeln fürs Zimmer. Man kann in Absprache Haustiere mitbringen, man kann rauchen. Wir achten immer darauf, was die Bewohner selbst wollen. Dass sie mit ihrer Familie, ihren Freunden eine normale Zeit verbringen, unbelastete Momente erleben können. Und trotz alledem: ein Hospiz ist ein Notnagel.“ – Ein Notnagel? Höchste Zeit für ein Gespräch mit dem Münchner Hospizleiter Ulrich Heller.

Abschied nehmen vom Zuhause

1.000 Anfragen erreichen das Christophorus Hospiz in München jedes Jahr; nur 250 bis 300 Menschen können ins Hospiz mit seinen 16 Einzelzimmern aufgenommen werden. Ständig stehen 30 schwerstkranke Menschen auf der Warteliste. Menschen, die alles haben, nur keine Zeit, um zu warten.

Im Hospiz zu sterben: Das stellen sich immer mehr Menschen als Ideal vor – irgendwann einmal. Doch wenn „irgendwann einmal“ jetzt ist, konkret, dann bedeutet das Sterben im Hospiz: Abschied nehmen von der Wohnung, in der man Jahre oder Jahrzehnte gelebt hat. Die man eingerichtet hat mit Möbeln, für die man lange sparen musste und die nun liebevoll abgewohnt sind. In der man seine Kinder großgezogen hat; Fotos und selbstgemalte Bilder, die Filzstiftspuren an der Wand und die Klebeblümchen am Kühlschrank erzählen davon. Die Wohnung, in der man sich geliebt hat und gestritten und versöhnt. In der man großartige Nächte mit Freunden verquatscht hat und in der sich die Familie immer wieder zusammenfand. Und nun soll man zum letzten Mal über die Schwelle gehen oder getragen werden, im Wissen, dass man dieses Zuhause nicht mehr wiedersieht, nicht den Blick aus dem Fenster, in den Garten, nicht die Küche mit dem großen Tisch, dass man nie wieder die Geborgenheit des eigenen Bettes spürt. Die Wohnung verlassen und umziehen, um an einem anderen, fremden Ort zu sterben.

Der beste aller denkbaren Notnägel

Andererseits: Wenn ein Hospiz ein Notnagel ist, dann ist es der beste aller denkbaren Notnägel. Für die schwerstkranken, sterbenden Menschen. Und mindestens ebenso für ihre Angehörigen, die weiter in Sorge sind um ihre Liebsten, aber befreit von der Organisation rund um die Pflege zu Hause – und auch von der Pflege selbst, die sie an ihre Grenzen geführt hat und vielleicht darüber hinaus. So sind, schildert Ulrich Heller, die Bewohner „heilfroh, den Platz zu bekommen. Und zugleich im Bewusstsein: das war mein letzter Weg. Das ist nicht leicht.“

1.000 Anfragen pro Jahr. Bei der Auswahl spielt die Lebenserwartung eine Rolle, die Schwere der Erkrankung, der Pflegebedarf, die Situation zu Hause. Die wenigen Hospizplätze sollen diejenigen bekommen, die sie am dringendsten brauchen. Die Kriterien für die Aufnahme haben die Krankenkassen festgelegt; der behandelnde Arzt muss sie bestätigen, der Medizinische Dienst der Krankenkassen überprüfen. „95 Prozent unserer Bewohner haben Krebserkrankungen, die so gravierend sind, dass das normale Versorgungssystem nicht ausreicht, die anderen fünf Prozent entsprechend schwere innere Erkrankungen oder ALS“, erklärt UIrich Heller. Zwei- oder dreimal pro Jahr komme es vor, dass ein Mensch sich im Hospiz so gut erhole, dass er es wieder verlassen und noch eine gute Zeit zu Hause verbringen könne. „Andere wirken relativ fit, wenn sie zu uns kommen und sterben dann ganz schnell.“ Dass im Hospiz Körper, Geist und Seele zur Ruhe kommen, loslassen können, wirkt auf die Menschen ganz unterschiedlich.

Ganz unwesentlich seien bei der Auswahl die Religionszugehörigkeit oder die Herkunft. Wobei das Team mit jeder Bewohnerin und jedem Bewohner dazulerne. „Wir hatten schon mehrere Menschen im Hospiz, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Für sie war das Angebot teilweise schwierig: Sie fühlten sich ins Hospiz abgeschoben, weil in ihrer Heimat Sterbende auf jeden Fall zu Hause betreut werden. Und in Russland steht Hospiz für eine mangelhafte Versorgung für ärmere Menschen.“

Ulrich Heller am „Fluss der Erinnerung“, eine Spur aus Kieselsteinen, die mit den Namen Verstorbener beschriftet sind.

Ulrich Heller ist examinierte Pflegefachkraft. Nach seiner Ausbildung, Mitte der 90er-Jahre, betreute er aidskranke Menschen in einer Wohngemeinschaft. In Kooperation mit dem Christophorus Hospizverein entstand daraus das stationäre Hospiz in München. Heller versucht, neben seinen Leitungsaufgaben einmal pro Woche in der Pflegeschicht mitzuarbeiten. „So lernen die Bewohner mich kennen und ich sie. Ich bekomme mit, wie belastet das Team ist. Und es macht mir einfach auch Freude.“ Auf dem Bild rechts hat Ulrich Heller einen Gedenkstein aus dem „Fluss der Erinnerung“ im Hospizgarten genommen. Die Steine holen Ehrenamtliche und Pflegekräfte vom Isarstrand; die Angehörigen verstorbener Bewohner können sie beschriften und bemalen.

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Die Medizin steht nicht im Vordergrund

Wie krank die Bewohner seiner Station auch sind: In der Palliativpflege, das ist Ulrich Heller wichtig, sind die medizinische Versorgung, die Schmerzpumpe, die Infusion, die Tabletten zwar unerlässlich. „Doch im Vordergrund steht das Ziel, dem Bewohner und seinen Angehörigen Sicherheit zu geben. Ihnen einen Abschied in Ruhe und Würde zu ermöglichen.“ Diese Sicherheit vermittelt das Hospizteam durch seine Erfahrung, sein Wissen und seine Ruhe, durch offene Ohren und eine vorurteilsfreie Betrachtung, die nur ein Ziel kennt: Der sterbende Mensch und seine Angehörigen sollen sich so wohl wie möglich fühlen. Dazu gehören, durchaus, auch Details in der Pflege, bis hin zur Auswahl des Materials. Zum Beispiel die roten Tücher, nach denen die Pflegekräfte greifen, wenn ein Tumor stark blutet. Rot auf Rot, das fällt kaum auf, ist weniger drastisch, nicht so erschreckend.

Friedlich einschlafen um jeden Preis: ist das erstrebenswert?

Friedlich einzuschlafen, das eigene Sterben gar nicht mitzubekommen: das wünschen sich viele Menschen. Erfüllt sich dieser Wunsch nicht, verlangen sterbende Menschen bzw. ihre Angehörigen heute immer öfter nach einer palliativen Sedierung. Ulrich Heller hält dieses unbewusste Hinübergleiten im Medikamentenschlaf nicht für erstrebenswert. „Im Sterben scheint doch viel zu passieren, da kann der Mensch viel beeinflussen. Zum Beispiel, dass er erst stirbt, wenn er für einen Moment alleine ist. Wenn ein Mensch stirbt, stellt der Körper nach und nach seine Funktion ein. Das sieht nicht schön aus, doch es bedeutet nicht, dass der Mensch leidet. Manche Sterbende sagen sogar: `Es geht mir gut.´ Es ist wichtig zu wissen: Das äußere Bild eines sterbenden Menschen entspricht nicht unbedingt seinem inneren Erleben. Menschen mit Nahtoderlebnissen berichten von schönen, positiven Bildern und Träumen.“

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„Ich geh‘ doch nicht ins Totenkämmerle!“ Vor der Behandlung auf der Palliativstation hatte Ernst H. (Foto) Bedenken. Drei Tage später ist er ganz anderer Meinung.

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In Würde leben bis zuletzt, das bedeutet auch: den Kopf freizuhaben für alles, was wichtig ist. Und Lust auf einen Friseurbesuch – wie Frau W. (Foto).

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Im Porträt

Ulrike Grambow arbeitet im stationären Hospiz in einer ungewöhnlichen Doppelrolle: als Pflegekraft und in der Hauswirtschaft. „Meine Tür ist das Essen“, sagt sie. Durch diese Tür öffnet sie die Sinne und erreicht oft auch die Seele schwerstkranker Menschen …

Weiterlesen: Porträt Ulrike Grambow.

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