Oft kann ich nach Hause gehen und sagen: `Das war gut heute´.

Warum entscheiden sich Menschen dafür, die Begleitung Sterbender zu ihrem Beruf zu machen? Und woraus schöpfen sie ihre Motivation? Ein Gespräch mit Katarina Theissing, Pflegekraft im stationären Hospiz und Dozentin für Palliative Care und Hospizarbeit beim Christophorus Hospiz Verein in München.

Im Team und ganz am Menschen orientiert

Katarina Theissing strahlt eine Ruhe und Klarheit aus, die man beinahe dinglich erfühlen kann; wie etwas, das ebenso sanften wie unbedingt verlässlichen Halt gibt. Nach ihrer Ausbildung hatte Katarina Theissing lange in der ambulanten Altenpflege gearbeitet. „Das hat mir gut gefallen, aber ich habe mich auch nach der Zusammenarbeit und dem Austausch in einem Team gesehnt. Irgendwann habe ich eine Weiterbildung in Palliative Care gemacht. Das kam meinen Vorstellungen sehr nahe: Die Arbeit ist bedürfnisorientiert, ganz dicht an dem, was die Menschen wollen. In der Arbeit im stationären Hospiz hat sich für mich dann beides total erfüllt:  Teamarbeit und menschenorientiertes Handeln. Oft kann ich nach Hause gehen und sagen: das war gut heute.“

Unkonventionell und kreativ

„Unsere Bewohnerinnen und Bewohner werden von ihren Hausärzten betreut; im Notfall könnten wir auch die Ärzte vom SAPV hinzuziehen. Das ist aber nur sehr, sehr selten nötig. Es ist also nicht immer ein Arzt zur Stelle. Wir Pflegekräfte müssen deshalb immer handlungsfähig sein und viele Entscheidungen treffen“, schildert Katarina Theissing. „Es dauert sehr lange, bis man alles gesehen und erlebt hat, was es an Krisen und Notfällen geben kann.“ Mit neun Jahren im stationären Hospiz gehört Theissing längst nicht zu den Dienstältesten in diesem jungen Zweig der Pflege.

Nicht jede Pflegekraft fühlt sich in der Hospizarbeit wohl. Das liegt nicht nur daran, dass das Sterben Alltag ist.  „Manchen ist sie auch zu unkonventionell“, erzählt Katarina Theissing. „Wir müssen kreativ sein und manchmal die Dinge auch anders machen, als wir sie gelernt haben. Zum Beispiel die Lagerung. Manchmal ziehen sich sterbende Menschen wie in einen inneren Raum zurück, in einen Kokon. Wir möchten sie darin möglichst wenig stören. Dazu gehört dann auch, sie nicht ständig umzulagern. Das macht man normalerweise, wenn sich ein Mensch nicht mehr selbst bewegen kann: Man verändert die Liegeposition, dreht den Menschen vom Rücken auf die Seite und so weiter, damit sich keine Druckstellen bilden, die Menschen sich nicht wundliegen. Beim sterbenden Menschen setzen wir die Prioritäten anders. Und auch mit Blutzuckerwerten gehen wir entspannt um. Spätfolgen spielen keine Rolle. Wenn ein Mensch nicht mehr viele Tage hat, dann ist die Frage nur noch: Geht es ihm JETZT gut? Was wäre JETZT schön für ihn?

„Mit Blutzuckerwerten gehen wir entspannt um. Spätfolgen spielen keine Rolle. Wenn ein Mensch nicht mehr viele Tage hat, dann ist die Frage nur noch: Geht es ihm JETZT gut? Was wäre JETZT schön für ihn?“

Ein Nest im Zimmer der sterbenden Mutter

Katarina Theissing hat zu viele sterbende Menschen und Angehörige begleitet, um sich an jeden einzelnen zu erinnern. Einige bleiben ihr im Gedächtnis, manche für immer. „Einmal war eine Frau relativ lange bei uns. Sie war um die 50, hatte zwei erwachsene Kinder. Sie haben einfach einen Teil ihres Lebens zu uns verlegt und sich im Zimmer ihrer Mutter ein Nest eingerichtet. Ich bin total gerne zu ihnen reingegangen. Abends hat die Mutter immer `Dahoam ist dahoam´ im Fernsehen angeschaut. Ihre Tochter saß mit dem Laptop daneben und schrieb ihre Diplomarbeit.“ Dieses selbstverständliche Weiterleben, so wie es eben möglich war: das gefiel Katarina Theissing. Sterben, meint sie, sei ja leben. Eine Lebensphase.

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Was passiert, ist das, was passiert, wenn ein Mensch stirbt

Oft brauchen die Angehörigen mehr Begleitung als der sterbende Mensch selbst. Die Angehörigen in ihrer Unsicherheit, ihren Ängsten, ihrer Traurigkeit, ihrem Zorn. Katarina Theissing hat die Erfahrung gemacht, dass es ihnen hilft, wenn sie mehr über das Sterben erfahren. Dass es zum Sterben gehört, nicht mehr essen zu wollen und, später, auch nicht mehr zu trinken. Dass es, im Gegenteil, für den sterbenden Menschen qualvoll ist, wenn man ihm mit allerbesten Absichten ein Getränk einflößt. Dass ein rasselnder Atem keinen Notfall bedeutet, keine Krise, sondern dass er zum Sterben dazugehört. Dass der sterbende Mensch ihn vermutlich gar nicht als belastend empfindet.

Nahaufnahme: „Zen-Garten“ für den Sofatisch, umrahmt von Teelichtern.

Katarina Theissing und ihre Kolleginnen und Kollegen warten nicht, bis Angehörige in ihrem Nichtwissen in Panik geraten, sondern suchen frühzeitig das Gespräch. Ihr Ziel: Die Angehörigen sollen die Phasen und Begleiterscheinungen des Sterbens nicht als krisenhaft wahrnehmen, sondern als normalen, natürlichen Ablauf, auf dessen Phasen sie sich vorbereiten können: „Was passiert, ist das, was passiert, wenn ein Mensch stirbt.“

Die meisten Menschen könnten auch zu Hause sterben

„Ich erlebe, dass die Menschen hier gut sterben, in einem relativ friedlichen Prozess.“ Sehr selten komme es vor, dass das Sterben für den Menschen unerträglich sei, dass er um eine palliative Sedierung bitte. „Das Sterben ist kein schwerer Schicksalsschlag, sondern etwas Normales, wie die Geburt. Die meisten Menschen brauchen keine spezifische Einrichtung. Sie könnten auch zu Hause sterben, Familie, Freunde und Nachbarn könnten das leisten.“ Katarina Theissing wünscht sich, dass sich die Menschen mehr mit dem Sterben beschäftigen. Warum auch sollten wir vor dem einzigen Ereignis die Augen verschließen, das uns alle absolut sicher erwartet?

Um dem Sterben das Geheimnis zu nehmen, diese Nährwurzel von Unwissenheit und Ängsten, ist Katarina Theissing auch in der Bildungsarbeit aktiv. Sie bildet Fachkräfte weiter und hält Vorträge für Laien. Toll findet sie Letzte-Hilfe-Kurse, ein junges Konzept, das sich von Schleswig-Holstein aus rasch verbreitet. In Zusammenarbeit mit Bildungsträgern wie z. B. Volkshochschulen soll eine breite Öffentlichkeit in kompakten Veranstaltungen an das Tabuthema Sterben herangeführt werden: Was passiert, wenn ein Mensch stirbt? Welche Entscheidungen und welche Vorsorge sollte jeder Mensch mit Blick auf das eigene Sterben frühzeitig treffen? Fragen wie diese werden klar und ebenso nah am Menschen wie an der Lebenspraxis beantwortet.

„Manche Menschen sind noch wenige Minuten vor dem Sterben ansprechbar und können mit Nicken oder Kopfschütteln reagieren. Wenn ich sie frage: Geht es Ihnen gut, dann nicken sie. Ich möchte, dass die Leute das wissen. Das ist, wie wenn man sehr müde ist und ins Bett darf.“

Im Hospiz spricht man übrigens nicht von Pflege, sondern von Begleitung, nicht von Patienten, sondern von Bewohnern. „Noch schöner finde ich den Begriff `Gäste´“, sagt Katarina Theissing. Das Wort `Hospiz´ kommt ja auch von `Herberge´.

Surftipp: Videointerview mit Katarina Theissing

Auf der Website des Christophorus Hospizvereins können Sie Katarina Theissing (und viele andere Menschen aus der Hospizbewegung) im Videointerview erleben.

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Porträtfoto: Ulrike Grambow.

Meine Tür ist das Essen

„Ich will hier sterben, nicht essen“, sagen viele Menschen, die in ein Hospiz verlegt werden. Ulrike Grambow (Foto) arbeitet als Pflegekraft und in der Hauswirtschaft. Sie weiß, wie sie mit Leibgerichten die Tür zu Menschen und ihren Erinnerungen öffnen kann.

Porträtfoto: Regina Raps.

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Im Porträt

„Eigentlich müsste ich jetzt Holz machen.“ Stattdessen liegt Ernst H. im Bett und trinkt Schnäpsli. Die sind ärztlich verordnet und lindern seine Schmerzen. Gegen die Behandlung auf der Palliativstation hatte er Bedenken. Drei Tage später ist er ganz anderer Meinung: „Ich habe großes Vertrauen.“

Weiterlesen: Porträt Ernst H.

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